BAC Bischöfliches Archiv Chur
© BISCHÖFLICHES ARCHIV CHUR / SCHWEIZ – Hof 19 – 7000 Chur
Siegel - in künstlerischer Ausgestaltung ein Abbild für die Entwicklungen in der Kulturgeschichte

Das Beglaubigungsmittel Siegel

1. Begriff Das Siegel, das im abendländischen Mittelalter und darüber hinaus bis Anfang des 19. Jahrhunderts künstlerisch beachtenswerte Ausgestaltung erfahren hat, ist nicht zuletzt ein Abbild für die Entwicklungen in der Kulturgeschichte. Über die erste Hochkultur auf europäischem Boden, die minoisch- mykenische Kultur (ca. 2600–1450 v. Chr.), von der zum Teil höchst qualitätsvolle Siegelstempel aus Gold, Achat, Karneol und Elfenbein erhalten sind, verbreitete sich das Siegelwesen in der griechisch-römischen Welt. In der klassischen Antike wurden Siegel als Verschlussmittel, Erkennungszeichen und Beglaubigungsmittel verwendet. Die Germanen haben von den Römern mit der Sache auch das Wort „sigillum“ übernommen. Die Siegelführung nördlich der Alpen beschränkte sich aufgrund der eher geringen Verbreitung der Schriftlichkeit zunächst auf Könige/Kaiser und Bischöfe. Für die reichhaltige Entwicklung des Siegelwesens im Mittelalter war entscheidend, dass sowohl die byzantinischen bzw. oströmischen Kaiser als auch die Päpste ihre Urkunden be- oder untersiegelten und so zum Vorbild der besiegelten Urkunden (Diplome) der karolingischen und fränkischen Herrscher in Europa wurden. Seit dem 10. Jahrhundert entwickelte sich die Verwendung des Siegels zur Beglaubigung des niedergeschriebenen Inhalts auf der pergamentenen Urkunde. Papst Alexander III. (1159–1181), früher Lehrer des kanonischen Rechts, verlangte per Dekret für die Beweiskraft einer Urkunde die „manus publica“, also die notarielle Fertigung, oder das „sigillum authenticum“. Der Gebrauch des (bischöflichen) Siegels erfährt entsprechend von Seiten des kanonischen Rechts eine starke Aufwertung und die Herausstellung der Authentizität. Die Siegelurkunde als Ganzes mutiert so im 12./13. Jahrhundert zur reinen Beweisurkunde für ein vollzogenes Rechtsgeschäft; die Besiegelung stellt quasi den letzten Akt des Beurkundungsvorganges dar. 2. „Chur-bischöfliche“ Ausgestaltung der Siegel Das erste auf dem Territorium Churrätiens erhaltene Siegel ist bezeichnenderweise ein (durchgedrücktes) Bischofssiegel; es ist nach 1070 zu datieren und ziert ein Dokument des Churer Bischofs Heinrich I. von Montfort (bez. 1070–1078). Diesem Bischofssiegel folgen später diejenigen der anderen geistlichen Institutionen, namentlich des Churer Domkapitels, der Klöster und seit dem 13. Jahrhunderts immer öfters der weltlichen Obrigkeiten, der Städte, Korporationen wie Universitäten, Gerichte und Zünfte, zuletzt auch der einfachen Bevölkerung (Pfarrer, Bürger, Bauern). Die Siegel wurden zuerst an (gedrehten/geflochtenen) Seiden- oder Hanfschnüren befestigt, später folgte die durchgängige Befestigung an abhangenen oder eingehängten Pergamentstreifen. Diverse Formen der Siegelbefestigung an der Pergamenturkunde Das persönliche Siegel wurde nur in der Amtszeit des jeweilig amtierenden Bischofs verwendet, danach vernichtet; das sog. Korporationssiegel (z. B. des Domkapitels) wurde hingegen permanent verwendet. Das Bischofssiegel stellt grundsätzlich ein ausgesprochenes Standessiegel dar, dessen Merkmale sich deutlich in Grösse, Umschrift und Bild äussern. Ferner unterscheidet man Bischofssiegel für lediglich vom Churer Domkapitel erwählte (electi) und für geweihte bzw. vom Papst bestätigte und ordinierte Bischöfe, was auf den folgenden Seiten mehrfach in der Umschrift des entsprechenden Siegels zum Ausdruck kommt. Beim persönlichen Siegel des jeweils amtierenden Churer Bischofs variiert die Prägung des Siegels im 14./15. Jahrhundert zum Teil stark. So finden sich innerhalb ein und derselben Regierungszeit nacheinander oder gleichzeitig mehrere Siegel. Im 15. Jahrhundert tritt neben den bischöflichen Hauptsiegeln das „Secretum“ in Gebrauch ein meist kleineres, stets rundes und für nicht feierliche Handlungen oder beglaubigte Abschriften bischöflicher Urkunden verwendetes Siegel. Beim Material der bischöflichen Siegel wurde zuerst lediglich braunes Wachs verwendet. Unter Friedrich II. von Erdingen (1368–1376; Bischof von Brixen 1376–1396) kam die Färbung mit roter Farbe des Stempelbildes in Mode und setzte sich bleibend durch. Die Siegelschüssel hingegen blieb ungefärbt bzw. wurde ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch vorgefertigte (gedrechselte) runde Holzfassungen mit passendem Stülpdeckel ersetzt, was nicht zuletzt dem Schutz des Siegels diente. Die Bestempelung der Siegel geschah in der bischöflichen Kanzlei am Hof in Chur oder auf der Fürstenburg im Vinschgau und mit ganz wenigen Ausnahmen nur vorderseitig. Als Formen finden sich runde und spitzovale Siegel. Die Umschrift der eigentlichen Bischofssiegel ist konstant und macht bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts kaum nennenswerte Wandlungen durch: Sie beginnt in der Regel mit der monogrammatischen Invokation, dem Kreuz, darauf folgen Buchstabe „S“ [für „sigillum“], Name und Würde des Trägers mit der Devotionsformel „dei gratia“ [anfänglich mit ‚c‘ geschrieben] gewählt wird entweder der Nominativ oder der Genitiv. Erst seit Bischof Johann VI. Flugi von Aspermont (1636–1661), welcher sich nach längerem Unterbruch wieder am Reichstag vertreten liess, werden Herrschaftstitel (Herr zu Grossengstingen in Schwaben, Fürstenburg im Vinschgau und Fürstenau im Domleschg) und seit Ende des 17. Jahrhunderts auch die Stellung des Churer Oberhirten als geistlicher Reichsfürst mittels Kürzel „SRIP“ [= Sacri Romani Imperii Principe] in die Umschrift eingearbeitet dies bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806. Das Siegelbild selbst entwickelte sich aus dem die Amtswürde symbolisierenden Bischofsbild (sog. „Portraitsiegel“) Bischof in Pontifikalgewand sowie mit Mitra, in der einen Hand den Bischofsstab, in der anderen Hand ein Evangeliar haltend, oder diese Hand ist zum Segen erhoben. Das Bild verdeutlicht den Verkündigungs- und Leitungsdienst als Hirte. Vereinzelt findet sich auch die Darstellung eines einfachen Klerikers mit Evangeliar (Dienst der Verkündigung). Eine solche Bildauswahl mit der entsprechenden Umschrift hatte juristische Bedeutung: der Bischof war „nur“ Elekt ein erwählter, aber nicht geweihter Ordinarius. Im 14. Jahrhundert beginnt eine für das Spätmittelalter charakteristische reichere Bildausgestaltung: Baldachin und heraldische Zutaten. In zwei Fällen kommen die Patrone des Bistums Chur, die Heiligen Luzius und Florinus, zur Darstellung. Nach Mitte des 14. Jahrhunderts bis hin zu Beat à Porta (1565–1581) übernimmt den Platz für den Bischof die thronende (wie gekrönte) Gottesmutter Maria, auf ihrem Schoss das Jesuskind, darunter die Wappenschilde des Bistums und der Familie, aus welcher der Bischof stammte. Mit der Verwendung des Wappens des Gotteshauses allein oder in Verbindung mit dem Hauswappen des Bischofs geschieht wiederum ein juristisch wichtiger Hinweis auf den Genuss der Temporalien, der weltlichen Herrschaftsrechte, durch den signierenden Oberhirten als legitimer geistlicher Reichsfürst. Bezeichnend für die spätere und dann durchgehende Verwendung bzw. zum Churer Bistumswappen mutierende Darstellung ist die Abbildung des Gotteshaus-Wappens mit dem (nach links) springenden aufrechten Steinbock. Dieses Bild wird in den überkommenen Urkunden aus dem Bischöflichen Archiv Chur erstmals unter Johannes I. Pfefferhard (1325–1331) verwendet. Churer Stadtwappen mit leerem Torbogen (Urkunde von 1282) [links] Churer Stadtwappen mit Steinbock im Torbogen (Urkunde von 1332) [Mitte] Churer Bistumswappen im Siegel von Bischof Friedrich II. von Erdingen (Urkunde von 1375) [rechts] Die Verwendung des Steinbockes bei den Bischöfen von Chur ist erstmalig im Rücksiegel an einer in Chur ausgestellten Urkunde vom 4. September 1291 zu finden. Der Churer Bischof Berthold II. von Heiligenberg (1290–1298) sicherte damals den Bürgern von Zürich für ihren Warentransport Geleit und Schutz in seinem Gebiet zu [Original in: StAZH, C IV 8 Chur / edierter Text in: BUB III (neu), Chur 1997, Nr. 1527; vgl. Abb. des Rücksiegels ebd. S. 509]. Ein weiteres solches Rücksiegel mit Steinbock findet sich unter Bischof Siegfried von Gelnhausen (1298–1321) an der am 8. Oktober 1300 in Meran ausgestellten Urkunde, worin Bischof Siegfried den Besuchern der Marienkapelle in Matrei am Brenner Ablass erteilt [Original in: PfrA Matrei/A; edierter Text in: BUB III (neu), Nr. 1697; vgl. Abb. des Rücksiegels ebd. S. 513]. Vor Berthold II. scheint der Steinbock als Wappentier keine Verwendung gefunden zu haben. Dafür spricht auch das älteste noch erhaltene, zwar beschädigte Churer Stadtsiegel an der im Bischöflichen Archiv Chur aufbewahrten Urkunde vom 30. Juni 1282 [BAC, 012.0109 / edierter Text in: BUB III (neu), Chur 1997, Nr. 1313]: Das dreitürmige Stadttor ist leer. Erst das nachträglich an der ebenfalls im Bischöflichen Archiv zu findenden Urkunde vom 23. April 1332 (ausgestellt in Feldkirch) angehängte Siegel zeigt im Churer Stadttor den springenden Steinbock [BAC 013.0246; edierter Text in: BUB V, Chur 2005, Nr. 2496]. Da der Churer Bischof Haupt der Gotteshausleute und Herr über die Stadt Chur war, ist anzunehmen, dass der nach links springende aufrechte Steinbock als Wappentier Ende des 13. / Anfang des 14. Jahrhunderts ins Churer Bistums- und ins Churer Stadtwappen gefunden hat. Bereits im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis hinein ins Zeitalter der Reformation weisen die Pergamenturkunden, welche im Bischöflichen Archiv Chur aufbewahrt werden, enorm starke Schäden auf; an vielen von ihnen fehlen die Siegel oder sind bis zu fragmentarischen Überresten zerbrochen. Auch wenn aus diesem Zeitfenster sich nur wenige für eine Publikation mit Aussagekraft eignen, kann die Zusammenstellung der Siegelabbildungen der Churer (Fürst-)Bischöfe in der Frühen Neuzeit bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts lückenlos fortgeführt werden und verdeutlicht so aussage- kräftig die wechselvolle Geschichte der Siegel der Bischöfe von Chur als Bedeutungsträger in Region und Reich (Krummstab Mitra/Bischofshut Reichsschwert), als Kleinkunstwerk aus Bienenwachs und als nicht zu unterschätzende Geschichtsquelle.
Das deutsche Wort „Siegel“ ist abgeleitet vom Lateinischen „sigillum“, einer Verkleinerungsform von „signum“. Beide lateinischen Worte stehen im weitesten Sinne für „Zeichen“. Toni Diederich plädiert den Begriff „Siegel“ zu definieren als «einen Abdruck, der mittels eines individuell gestalteten Stempels hergestellt wird und als rechtserhebliches Zeichen des Siegelführers für die Echtheit, Unversehrtheit oder Gültigkeit eines Sachverhaltes oder einer Willensbekundung eintreten soll». [Toni Diederich, Siegel und andere Beglaubigungsmittel, in: Friedrich Beck / Eckart Henning (Hrsg.), Die archivalischen Quellen, Köln 2003, S. 291 f.]
Das Bischöfliche Archiv im Marsoelturm im Jahr 1877 – nach der Beschreibung des ersten Archivars Christian Modest Tuor (1877–1893): «In dem ohnehin sehr unpractisch eingerichteten Lokal lagen die Urkunden und Schriftstücke bunt durcheinander, theils in morschen Truhen, theils in Salzfässern, theils auf Tischen aufgehäuft. Mäuse und Ratten hatten darin ihre Nester und trieben daselbst ihr Unwesen. Kein wachendes Auge eines Archivars war für die Erhaltung und Ordnung des wertvollen Archiv- Materials besorgt, keine Regesten fanden sich vor. Jedermann hatte ohne Controlle freien Zutritt zum Archive und konnte darin nach Belieben schalten und walten. Kein Wunder, wenn unter solchen Umständen manches der Zerstörung anheimfiel, manches in fremden Besitz gelangte.»
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Das

Beglaubigungsmittel

Siegel

1. Begriff Das Siegel, das im abendländischen Mittelalter und darüber hinaus bis Anfang des 19. Jahrhunderts künstlerisch beachtenswerte Ausgestaltung erfahren hat, ist nicht zuletzt ein Abbild für die Entwicklungen in der Kulturgeschichte. Über die erste Hochkultur auf europäischem Boden, die minoisch-mykenische Kultur (ca. 2600–1450 v. Chr.), von der zum Teil höchst qualitätsvolle Siegelstempel aus Gold, Achat, Karneol und Elfenbein erhalten sind, verbreitete sich das Siegelwesen in der griechisch-römischen Welt. In der klassischen Antike wurden Siegel als Verschlussmittel, Erkennungszeichen und Beglaubigungsmittel verwendet. Die Germanen haben von den Römern mit der Sache auch das Wort „sigillum“ übernommen. Die Siegelführung nördlich der Alpen beschränkte sich aufgrund der eher geringen Verbreitung der Schriftlichkeit zunächst auf Könige/Kaiser und Bischöfe. Für die reichhaltige Entwicklung des Siegelwesens im Mittelalter war entscheidend, dass sowohl die byzantinischen bzw. oströmischen Kaiser als auch die Päpste ihre Urkunden be- oder untersiegelten und so zum Vorbild der besiegelten Urkunden (Diplome) der karolingischen und fränkischen Herrscher in Europa wurden. Seit dem 10. Jahrhundert entwickelte sich die Verwendung des Siegels zur Beglaubigung des niedergeschriebenen Inhalts auf der pergamentenen Urkunde. Papst Alexander III. (1159–1181), früher Lehrer des kanonischen Rechts, verlangte per Dekret für die Beweiskraft einer Urkunde die „manus publica“, also die notarielle Fertigung, oder das „sigillum authenticum“. Der Gebrauch des (bischöflichen) Siegels erfährt entsprechend von Seiten des kanonischen Rechts eine starke Aufwertung und die Herausstellung der Authentizität. Die Siegelurkunde als Ganzes mutiert so im 12./13. Jahrhundert zur reinen Beweisurkunde für ein vollzogenes Rechtsgeschäft; die Besiegelung stellt quasi den letzten Akt des Beurkundungsvorganges dar. 2. „Chur-bischöfliche“ Ausgestaltung der Siegel Das erste auf dem Territorium Churrätiens erhaltene Siegel ist bezeichnenderweise ein (durchgedrücktes) Bischofssiegel; es ist nach 1070 zu datieren und ziert ein Dokument des Churer Bischofs Heinrich I. von Montfort (bez. 1070–1078). Diesem Bischofssiegel folgen später diejenigen der anderen geistlichen Institutionen, namentlich des Churer Domkapitels, der Klöster und seit dem 13. Jahrhunderts immer öfters der weltlichen Obrigkeiten, der Städte, Korporationen wie Universitäten, Gerichte und Zünfte, zuletzt auch der einfachen Bevölkerung (Pfarrer, Bürger, Bauern). Die Siegel wurden zuerst an (gedrehten/geflochtenen) Seiden- oder Hanfschnüren befestigt, später folgte die durchgängige Befestigung an abhangenen oder eingehängten Pergamentstreifen. Diverse Formen der Siegelbefestigung an der Pergamenturkunde Das persönliche Siegel wurde nur in der Amtszeit des jeweilig amtierenden Bischofs verwendet, danach vernichtet; das sog. Korporationssiegel (z. B. des Domkapitels) wurde hingegen permanent verwendet. Das Bischofssiegel stellt grundsätzlich ein ausgesprochenes Standessiegel dar, dessen Merkmale sich deutlich in Grösse, Umschrift und Bild äussern. Ferner unterscheidet man Bischofssiegel für lediglich vom Churer Domkapitel erwählte (electi) und für geweihte bzw. vom Papst bestätigte und ordinierte Bischöfe, was auf den folgenden Seiten mehrfach in der Umschrift des entsprechenden Siegels zum Ausdruck kommt. Beim persönlichen Siegel des jeweils amtierenden Churer Bischofs variiert die Prägung des Siegels im 14./15. Jahrhundert zum Teil stark. So finden sich innerhalb ein und derselben Regierungszeit nacheinander oder gleichzeitig mehrere Siegel. Im 15. Jahrhundert tritt neben den bischöflichen Hauptsiegeln das „Secretum“ in Gebrauch ein meist kleineres, stets rundes und für nicht feierliche Handlungen oder beglaubigte Abschriften bischöflicher Urkunden verwendetes Siegel. Beim Material der bischöflichen Siegel wurde zuerst lediglich braunes Wachs verwendet. Unter Friedrich II. von Erdingen (1368–1376; Bischof von Brixen 1376–1396) kam die Färbung mit roter Farbe des Stempelbildes in Mode und setzte sich bleibend durch. Die Siegelschüssel hingegen blieb ungefärbt bzw. wurde ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch vorgefertigte (gedrechselte) runde Holzfassungen mit passendem Stülpdeckel ersetzt, was nicht zuletzt dem Schutz des Siegels diente. Die Bestempelung der Siegel geschah in der bischöflichen Kanzlei am Hof in Chur oder auf der Fürstenburg im Vinschgau und mit ganz wenigen Ausnahmen nur vorderseitig. Als Formen finden sich runde und spitzovale Siegel. Die Umschrift der eigentlichen Bischofssiegel ist konstant und macht bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts kaum nennenswerte Wandlungen durch: Sie beginnt in der Regel mit der monogrammatischen Invokation, dem Kreuz, darauf folgen Buchstabe „S“ [für „sigillum“], Name und Würde des Trägers mit der Devotionsformel „dei gratia“ [anfänglich mit ‚c‘ geschrieben] gewählt wird entweder der Nominativ oder der Genitiv. Erst seit Bischof Johann VI. Flugi von Aspermont (1636–1661), welcher sich nach längerem Unterbruch wieder am Reichstag vertreten liess, werden Herrschaftstitel (Herr zu Grossengstingen in Schwaben, Fürstenburg im Vinschgau und Fürstenau im Domleschg) und seit Ende des 17. Jahrhunderts auch die Stellung des Churer Oberhirten als geistlicher Reichsfürst mittels Kürzel „SRIP“ [= Sacri Romani Imperii Principe] in die Umschrift eingearbeitet dies bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806. Das Siegelbild selbst entwickelte sich aus dem die Amtswürde symbolisierenden Bischofsbild (sog. „Portraitsiegel“) Bischof in Pontifikalgewand sowie mit Mitra, in der einen Hand den Bischofsstab, in der anderen Hand ein Evangeliar haltend, oder diese Hand ist zum Segen erhoben. Das Bild verdeutlicht den Verkündigungs- und Leitungsdienst als Hirte. Vereinzelt findet sich auch die Darstellung eines einfachen Klerikers mit Evangeliar (Dienst der Verkündigung). Eine solche Bildauswahl mit der entsprechenden Umschrift hatte juristische Bedeutung: der Bischof war „nur“ Elekt ein erwählter, aber nicht geweihter Ordinarius. Im 14. Jahrhundert beginnt eine für das Spätmittelalter charakteristische reichere Bildausgestaltung: Baldachin und heraldische Zutaten. In zwei Fällen kommen die Patrone des Bistums Chur, die Heiligen Luzius und Florinus, zur Darstellung. Nach Mitte des 14. Jahrhunderts bis hin zu Beat à Porta (1565–1581) übernimmt den Platz für den Bischof die thronende (wie gekrönte) Gottesmutter Maria, auf ihrem Schoss das Jesuskind, darunter die Wappenschilde des Bistums und der Familie, aus welcher der Bischof stammte. Mit der Verwendung des Wappens des Gotteshauses allein oder in Verbindung mit dem Hauswappen des Bischofs geschieht wiederum ein juristisch wichtiger Hinweis auf den Genuss der Temporalien, der weltlichen Herrschaftsrechte, durch den signierenden Oberhirten als legitimer geistlicher Reichsfürst. Bezeichnend für die spätere und dann durchgehende Verwendung bzw. zum Churer Bistumswappen mutierende Darstellung ist die Abbildung des Gotteshaus-Wappens mit dem (nach links) springenden aufrechten Steinbock. Dieses Bild wird in den überkommenen Urkunden aus dem Bischöflichen Archiv Chur erstmals unter Johannes I. Pfefferhard (1325–1331) verwendet. Churer Stadtwappen mit leerem Torbogen (Urkunde von 1282) [links] Churer Stadtwappen mit Steinbock im Torbogen (Urkunde von 1332) [Mitte] Churer Bistumswappen im Siegel von Bischof Friedrich II. von Erdingen (Urkunde von 1375) [rechts] Die Verwendung des Steinbockes bei den Bischöfen von Chur ist erstmalig im Rücksiegel an einer in Chur ausgestellten Urkunde vom 4. September 1291 zu finden. Der Churer Bischof Berthold II. von Heiligenberg (1290–1298) sicherte damals den Bürgern von Zürich für ihren Warentransport Geleit und Schutz in seinem Gebiet zu [Original in: StAZH, C IV 8 Chur / edierter Text in: BUB III (neu), Chur 1997, Nr. 1527; vgl. Abb. des Rücksiegels ebd. S. 509]. Ein weiteres solches Rücksiegel mit Steinbock findet sich unter Bischof Siegfried von Gelnhausen (1298–1321) an der am 8. Oktober 1300 in Meran ausgestellten Urkunde, worin Bischof Siegfried den Besuchern der Marienkapelle in Matrei am Brenner Ablass erteilt [Original in: PfrA Matrei/A; edierter Text in: BUB III (neu), Nr. 1697; vgl. Abb. des Rücksiegels ebd. S. 513]. Vor Berthold II. scheint der Steinbock als Wappentier keine Verwendung gefunden zu haben. Dafür spricht auch das älteste noch erhaltene, zwar beschädigte Churer Stadtsiegel an der im Bischöflichen Archiv Chur aufbewahrten Urkunde vom 30. Juni 1282 [BAC, 012.0109 / edierter Text in: BUB III (neu), Chur 1997, Nr. 1313]: Das dreitürmige Stadttor ist leer. Erst das nachträglich an der ebenfalls im Bischöflichen Archiv zu findenden Urkunde vom 23. April 1332 (ausgestellt in Feldkirch) angehängte Siegel zeigt im Churer Stadttor den springenden Steinbock [BAC 013.0246; edierter Text in: BUB V, Chur 2005, Nr. 2496]. Da der Churer Bischof Haupt der Gotteshausleute und Herr über die Stadt Chur war, ist anzunehmen, dass der nach links springende aufrechte Steinbock als Wappentier Ende des 13. / Anfang des 14. Jahrhunderts ins Churer Bistums- und ins Churer Stadtwappen gefunden hat. Bereits im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis hinein ins Zeitalter der Reformation weisen die Pergamenturkunden, welche im Bischöflichen Archiv Chur aufbewahrt werden, enorm starke Schäden auf; an vielen von ihnen fehlen die Siegel oder sind bis zu fragmentarischen Überresten zerbrochen. Auch wenn aus diesem Zeitfenster sich nur wenige für eine Publikation mit Aussagekraft eignen, kann die Zusammenstellung der Siegelabbildungen der Churer (Fürst-)Bischöfe in der Frühen Neuzeit bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts lückenlos fortgeführt werden und verdeutlicht so aussage-kräftig die wechselvolle Geschichte der Siegel der Bischöfe von Chur als Bedeutungsträger in Region und Reich (Krummstab Mitra/Bischofshut Reichsschwert), als Kleinkunstwerk aus Bienenwachs und als nicht zu unterschätzende Geschichtsquelle.
Siegel - in künstlerischer Ausgestaltung ein Abbild für die Entwicklungen in der Kulturgeschichte